Zwei Familien betrieben südlich von Rom eine landwirtschaftliche Ge-nossenschaft. So wuchs die kleine Maria Goretti mit dem Nachbarjungen Alessandro auf. Als sie mit zwölf Jahren zu einem jungen Mädchen heranwuchs, weckte das in Alessandro pubertäre Begehrlichkeiten. Seine Annäherungsversuche wies die fromm erzogene junge Frau strikt zurück. Das wieder reizte und kränkte den jungen Mann immer mehr, bis er eines Tages in rasender Wut mit dem Messer mehrfach auf sie einstach. Nach einer Notoperation starb die junge Maria Goretti 1902 im Krankenhaus von Nettuno.
So tragisch das Schicksal dieser jungen Frau ist, so steht ihre Vereh-rung auch im Zusammenhang mit dem Höhepunkt der kirchlichen Sexualneurose in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in der die Wahrung der Jungfräulichkeit zum höchsten Wert wurde. Was wäre geworden, hätten sich schon Adam und Eva an diesen Wert gehalten?
Trotzdem ist die Geschichte von Maria Goretti immer noch aktuell. Fokussiert man nicht nur auf den Verlust der Jungfräulichkeit, kann sie als Heilige auch heute für alle Frauen stehen, denen sexuelle oder sexuell motivierte Gewalt angetan wurde und leider immer noch wird. Interessant ist, dass der Künstler Martin Häusle die Figur der Maria Goretti in aktueller Reaktion auf ihre Seligsprechung im April 1947 in den Zyklus der Götzner Glasfenster aufgenommen hat. Das Fenster selber entstand 1948/49 - also noch mindestens ein Jahr vor ihrer Heiligsprechung 1950.
Im Zyklus der Häusle-Fenster der Pfarrkirche Götzis ist jenes der Ma-ria Goretti das hellste. Die Figur der jungen Frau, die scheu nach oben blickt, den Rosenkranz in ihren Händen, leuchtet in unterschiedlichen Blautönen, die rein wie das Wasser scheinen. Ihr Gesicht besteht aus der größten Glasscheibe des ganzen Götzner Zyklus. Häusle hat ihr Gesicht nicht wie bei anderen Figuren aus verschiedenen Glasstücken zusammengesetzt. Das ganze Gesicht ist eine einzige, helle Glasscheibe, die er bemalt hat. Die Bemalung erfolgte mit Schwarzlot, das dann in das Glas eingebrannt wurde.
Das reine helle Blau und das ungebrochene Gesicht der Maria Goretti stehen für ihre Reinheit und Unversehrtheit - bei allem, was ihr kör-perlich angetan wurde. Links hinten wiederholt sich nochmal dasselbe Gesicht. Häusle dürfte hier ihre Seele dargestellt haben, die aus ihr herauswächst und nach oben strebt und fast wie ihr eigener Schutzengel hinter ihr steht. Unten links ist noch ein feuerroter Ziegenbock, der vermutlich für die grausame Begierde steht, für die Gewalt, die dieser jungen Frau angetan wurde.
Markus Hofer
Die Bilder der Kirchenfenster wurden von Bernhard Häusle zur Verfügung gestellt.
Fotoaufnahmen © 2009 by Bernhard Häusle
http://www.martin-haeusle.de